Schrammstein - Kriminalroman

von: Frank Goldammer

Gmeiner-Verlag, 2019

ISBN: 9783839246184 , 306 Seiten

5. Auflage

Format: ePUB, PDF, Online Lesen

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 10,99 EUR

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Schrammstein - Kriminalroman


 

1. Kapitel


Tauner warf einen skeptischen Blick auf sein Navigationsgerät. Er hatte die Försterlingstraße in jedem anderen Stadtteil erwartet, nur nicht hier in Niedersedlitz, von wo es keine fünf Autominuten mehr bis zur Stadtgrenze zu Heidenau waren. Uhlmann neben ihm schien sich nicht zu wundern oder schlief. Tauner wagte einen kurzen Blick zur Seite.

»Was?«, knurrte Uhlmann.

»Nichts«, murrte Tauner.

»Gut«, brummte Uhlmann. »da musst du rein!«

Ach was, dachte Tauner, dann bog er rechts ab. Im Rückspiegel sah er einen kleinen Konvoi, der ihm folgte.

»Da ist es«, sagte Uhlmann leise. Sie hatten ein paar kleinere Mehrfamilienhäuser passiert, dann wich das Gelände ein wenig zurück. Ein sechsstöckiges, mit blauem Glas verkleidetes Gebäude erschien in Tauners Blickfeld. Es war ein typischer Zweckbau aus DDR-Zeiten, rechteckig, ohne jeglichen Anhaltspunkt fürs Auge. Einstmals jedenfalls. Nun bot es genügend Blickpunkte, Graffiti, zerschlagene Fensterscheiben und Unkraut, das auf Fenstersimsen gedieh. Das Gelände war noch vor Kurzem vollkommen verwildert gewesen, bis schweres Gerät Tabula rasa gemacht, die Erde gewendet und geebnet hatte. Nur ein paar große Haufen graubraunes Geäst erinnerte an den Wildbewuchs.

»Jetzt haben die wohl nach 20 Jahren endlich einen Investor gefunden«, schnaubte Uhlmann und ließ Tauner nicht wissen, ob er das nun gut fand oder schlecht.

»Kann ja nicht schaden«, meinte Tauner.

Uhlmann winkte ab und schickte sich an, aus dem Auto zu steigen. Tauner machte es ihm gleich, war aber viel schneller. Seine frische Beziehung mit der Gerichtsmedizinerin tat ihm körperlich ganz gut, wenn sie ihm auch seelisch ein wenig unbefriedigend vorkam. Sein geschmeicheltes Ego hatte ihn Sport treiben lassen und seinen Alkoholkonsum auf ein vorzeigbares Maß eingeschränkt.

Er wartete nicht auf Uhlmann, sondern winkte die Autos, die ihnen gefolgt waren, an den Straßenrand. Aus dem größten der weißen Transporter stieg Martin, der Chef der Spurensicherung.

»Da wird nicht viel zu sichern übrig sein«, meinte er sogleich und deutete mit dem Kinn auf das verschlissene Gebäude. Jetzt erst sah Tauner, dass ein riesiger Bagger mit einem langen Greifarm dem Gebäude schon ein gutes Sechstel abgekniffen hatte.

Tauner seufzte und sah sich um. Bisher war ihm noch keine Ansprechperson entgegengekommen. Die zwei Polizisten der Streife, von denen sie gerufen worden waren, konnte er nicht entdecken. Er sah auch keinen Arbeiter, nur den ruhenden Bagger. ›Arbeiterwohnheim‹ las er über dem Eingang des abgewetzten Gebäudes. »Da kann man doch jetzt nicht mehr rein, oder?«

Martin hob die Schultern. Bis vor ein paar Monaten noch hatte ein langer Zopf seinen Kopf geschmückt. Nun waren die Haare kurz und Martin hatte sich nie so recht dazu geäußert. Man sprach von einer verlorenen Wette. Aus dem reservierten Verhalten ihm gegenüber schloss Tauner, dass er selbst ein nicht unwesentlicher Bestandteil dieser Wette gewesen sein mochte.

»Da drüben!«, sagte Martin jetzt und machte Tauner auf einen Streifenwagen aufmerksam, der hinter einem Wohncontainer parkte.

»Wenn die da drin hocken und Kaffee trinken, mach ich die zur Sau«, knurrte Tauner.

»Da bin ich mir sicher!«, erwiderte Martin und zog fröstelnd die Schultern hoch. Der Frühling stand vor der Tür, doch noch schaffte das Thermometer es kaum über fünf Grad; immerhin gab es keinen Tagfrost mehr.

Tauner ließ den Chef der Spurensicherung stehen und machte sich auf den Weg zum Baucontainer.

»Herr Hauptkommissar!«, rief ihn jemand von der Seite an, kaum dass er einige Meter gelaufen war. Tauner erkannte eine junge Streifenpolizistin, sie hatte unterhalb des Haupteingangs Posten bezogen. Falk Tauner ging zu ihr hin.

»Ich dachte, Sie hätten mich gesehen«, entschuldigte sie ihre laute Anrede.

Uhlmann und Martin hatten alles mitbekommen und näherten sich gemächlichen Schrittes.

Tauner nickte der jungen Obermeisterin zu. »War wohl zu sehr von der überwältigenden Ästhetik dieses Prachtbaus beeindruckt«, versuchte er witzig zu sein, doch die junge Frau hatte kein Lächeln dafür übrig. Das erinnerte Tauner daran, weshalb sie hier waren. »Wo ist Ihr Kollege?«, fragte er deshalb, um die Peinlichkeit zu überspielen.

»Der sichert den Hintereingang. Einer der Arbeiter hat mir gesteckt, dass jemand die Zeitung angerufen hat.«

»Idioten.« Tauner schüttelte den Kopf und sah sich vorsichtshalber schon mal um. Bislang war kein Reporter zu sehen. »Drinnen ist aber keiner?«, fragte er misstrauisch.

»Nein, deshalb stehen wir hier.« Die junge Polizistin versuchte, nicht beleidigt zu sein.

»Waren Sie schon im Gebäude?«

»Nur um uns zu überzeugen, ob die Arbeiter recht hatten. Wir haben nichts angefasst und genug Abstand gelassen. Da gibt es schon lang nichts mehr zu helfen.« Die Polizistin verzog den rechten Mundwinkel zu einem unglücklichen Grinsen.

Tauner sah die Nerven unter ihrem rechten Auge zucken. Ihm wurde gewahr, wie bleich sie aussah.

»Wenn Sie hier warten, hole ich eben den Polier«, schlug sie vor.

Als sie sich umdrehte, hielt er sie kurz fest. »Gut gemacht!«, sagte er und suchte nach weiteren aufmunternden Worten, doch es fiel ihm nichts Passendes ein. Er ließ die Beamtin los und sah seine Kollegen Uhlmann und Martin an. Sie warteten schweigend, bis die Polizistin mit einem behelmten großen Mann in orangener Arbeitskluft zurückkam. Beide trugen gelbe Helme in ihren Händen.

»Hülser!«, stellte sich der Polier vor und teilte Helme aus. »Normalerweise sollte nichts passieren, von dem Gebäudeteil, in dem sie liegen, wurde bisher nur eine Wand weggerissen. Die Stahlträger sind noch alle intakt.«

»Sollte nichts passieren«, wiederholte Uhlmann leise grummelnd und versuchte, sich den Helm aufzusetzen, ohne wie die Karikatur eines Bauarbeiters auszusehen.

»Ich kann gern mitkommen, wenn Sie das beruhigt«, erklärte der Polier emotionslos. »Lohnt es sich für uns, heute noch hier zu bleiben?«

»Ich schätze, Sie können heimfahren«, sagte Tauner nach einem kurzen Blick auf Martin, der unmerklich mit dem Kopf geschüttelt hatte.

Hülser nickte. »Ich bring Sie noch rein. Dann sag ich meinen Leuten, dass die abdampfen können.« Hülser war ein sehr großer Mann, nicht so massig wie Uhlmann, jedoch ebenso ein Schwergewicht. Tauner fand den Gedanken tröstlich, ihn in dem Gebäude dabeizuhaben. Wenn unter seinem Gewicht nichts zusammenbrach, würde wohl tatsächlich nichts passieren.

»Waren Sie es, der die Zeitung angerufen hat?«, fragte Tauner ihn.

»Hab ich.«

»Und wieso? Sie können sich sicher denken, wie wenig hilfreich das für uns ist«, sagte Tauner, dem die Kälte in die Knochen geschlichen war, was ihm ein wenig den Elan raubte.

»Es ist nicht verboten«, murrte der Polier, drehte sich um und schickte sich an, die Haupttreppe zum Eingang zu erklimmen.

Tauner sah seine Kollegen nicht an. Er brauchte keinen Spott, er wusste selbst, wann er dumm stehen gelassen worden war. Tauner setzte sich seinen Helm auf den Kopf und betrat nach Hülser das Gebäude. Zuerst bogen sie nach links ab, über ein Treppenhaus stiegen sie schweigend und schnaufend zwei Stockwerke nach oben. Tauner schmeckte Staub in der Luft und versuchte nur wenig zu atmen, was ihm umso weniger gelang, je mehr er daran dachte. Er fragte sich, wie viel Asbest hier verbaut worden war.

Aus dem Treppenhaus kommend bogen sie wieder nach links ab und gingen auf eine offene Tür zu.

»Da!«, sagte Hülser nur, als er die Tür erreicht hatte, und deutete auf die linke Wand.

Tauner trat vor und warf einen Blick in den Raum, dem nun eine Wand fehlte. Er konnte den Bagger sehen, dessen Arm sich unter der Abbruchkante befand, so als ob er die Hauswand stützen musste. Hier hatte sich der Staub weitestgehend gelegt, die Fußspuren, von den uniformierten Kollegen verursacht, waren kaum noch zu erkennen. Deutlicher dagegen zeichnete sich das dunkle Bündel gegen den hellen Hintergrund ab, warf scharfe Schatten. Tauner trat einen vorsichtigen Schritt in den Raum. Noch einmal blickte er zurück. Hülser nickte ihm aufmunternd zu.

Tauner fasste sich ein Herz, bis er keine drei Meter mehr vor der Bruchkante stehen blieb. Da lagen sie, zusammen gedrängt, dort, wo einstmals die hinterste Ecke des Gebäudes gewesen war.

Es mussten der verstaubten Kleidung nach zwei junge Frauen sein. An Händen und Füßen gefesselt, den Mund geknebelt. Tauner hätte sich liebend gern abgestützt. Warum hältst du das nicht aus?, fragte er sich. Was ist los mit dir, wirst du weich? Oder erinnern sie dich zu sehr an deine Töchter?

»Die können schon seit zehn Jahren hier liegen, so wie die aussehen«, sagte Martin, der mit Uhlmann näher gekommen war. Er schoss Dutzende Fotos aus verschiedenen Winkeln und gab dann mit einem Nicken die Toten zur näheren Besichtigung frei.

Tauner sagte nichts dazu, konnte seinen Blick nicht losreißen von den grauen mumifizierten Gesichtern, den blonden Haaren, die nun aussahen wie makabre Perücken, den Ohrringen, die abgefallen waren, den Ringen an den ausgedörrten Fingern.

Uhlmann hatte heute bessere Nerven. Er ging umständlich in die Hocke, stützte sich an der noch intakten Wand ab und betrachtete die grausige Szenerie aus der Nähe. »Auf den ersten Blick sind weder Einschüsse noch Schnitt- oder Stichwunden zu erkennen.« Er holte eine...