Halbwissen eines Volljuristen - Handbuch für den Rechtsstaat - Auch achtsames Morden ist strafbar - das Sachbuch des Bestsellerautors und Rechtsanwalts Karsten Dusse

Halbwissen eines Volljuristen - Handbuch für den Rechtsstaat - Auch achtsames Morden ist strafbar - das Sachbuch des Bestsellerautors und Rechtsanwalts Karsten Dusse

von: Karsten Dusse

Heyne, 2023

ISBN: 9783641303440 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Halbwissen eines Volljuristen - Handbuch für den Rechtsstaat - Auch achtsames Morden ist strafbar - das Sachbuch des Bestsellerautors und Rechtsanwalts Karsten Dusse


 

Rechtsstaat? Was ist das denn?


Die Definition für Rechtsstaat ist relativ simpel:

»Alle haben immer die gleichen, einklagbaren Rechte.« Verwechseln Sie das bitte nicht mit einer ähnlichen klingenden Definition:

»Immer hat der oder die Gleiche alle Rechte, klagt aber trotzdem.« Letzteres ist die Definition für Ehe und bietet die wundervolle Möglichkeit, innerhalb des Rechtsstaates ganz legal seine Vorlieben für diktatorische Lebensformen auszuleben. Dazu aber gesondert im Kapitel »Die Ehe«.

Der Rechtsstaat ist keine vollkommene Welt, egal, ob Sie verheiratet sind oder nicht. Der Rechtsstaat ist lediglich eine recht erfolgreiche Möglichkeit, in einer unvollkommenen Welt zu leben. Philosophisch gesehen, ist es völlig unstrittig, dass wir Menschen nicht vollkommen sind. Das beruhigt. Damit können wir uns schon mal den Stress sparen, so tun zu müssen, als ob ein vollkommenes Leben möglich wäre. Ist es nicht. Völlig egal, was Ihnen Parteien, ZDF-Sonntagsfilme oder die Werbung vorgaukeln.

Bleibt also im Diesseits nur noch der Stress, mit der menschlichen Unvollkommenheit zu leben.

Eine Schwäche der menschlichen Natur ist es, dass der Mensch stets bereit ist, nach der Macht zu greifen, wie schon John Locke, der englische Philosoph, wusste. Je schwächer der Mensch, desto größer der Machtwille. Das kann mitunter zu Nachbarschaftsstreitigkeiten und Weltkriegen führen.

Ein weitverbreitetes Hilfsmittel, Nachbarschaftsstreitigkeiten und Weltkriege zwischen unvollkommenen Machtmenschen nicht eskalieren zu lassen, sind Regeln. Zum Beispiel die des Nachbarschafts- oder des Völkerrechts.

Regeln sind also prinzipiell erst mal etwas Gutes.

Wie alles, was prinzipiell gut ist, lassen sich aber auch Regeln wunderbar verhunzen.

Die verschiedenen Regeln


Es gibt im Prinzip nämlich nur drei Arten von Regeln:

  Regeln von einem unfehlbaren Wesen außerhalb der Menschheit.

  Regeln von einem unfehlbaren Menschen.

  Regeln von fehlbaren Menschen.

Regeln von einem unfehlbaren Wesen außerhalb der Menschheit


Menschen, die zwar einen großen Machtwillen, aber nicht das Rückgrat haben, persönlich zu ihrer Machtgeilheit zu stehen, erfinden sich gerne eine höhere Legitimation. Die Verantwortung für den Irrsinn, den sie veranstalten, geben sie gerne einem Gott. Anstatt zu sagen: »Ich will nicht, dass ihr Spaß am Leben habt«, heißt es dann: »Gott will nicht, dass ihr Spaß am Leben habt.«

Die Legitimation für ihre Macht ist in diesem Falle: »Weil Gott es so will.«

Dieses Prinzip gilt für die katholische Kirche genauso wie für den Islamischen Staat.

Mit diesem Prinzip können überteuerte Bischhofsbadewannen in Limburg genauso gerechtfertigt werden wie Massenenthauptungen im Irak. Denn in einem solchen System werden die Regeln von Gott persönlich gemacht, vom jeweiligen Machthaber – natürlich nur stellvertretend – durchgesetzt, und Verstöße auf Erden werden lediglich im einstweiligen Rechtsschutz vom Machthaber für Gott geahndet. Endgültige Urteile fällt ja erst nach dem Tod das Jüngste Gericht.

Ein solches System hat in der Regel den Nachteil einer negativen Klimabilanz. Die zahlreichen Scheiterhaufen belasten schlicht und ergreifend die CO2-Werte.

Regeln von einem unfehlbaren Menschen


Wer nach der Macht greift, weil er sich selbst ziemlich geil findet und obendrein auch die Eier dazu hat, das genauso schamlos zu sagen, der gründet einfach eine Diktatur. Ein Diktator braucht keinen Gott unter sich. Natürlich kann man jede Diktatur auch noch philosophisch damit untermauern, dass entweder die eigene Familie oder zumindest die eigene Rasse genetisch Güteklasse A sei, aber der Grundgedanke ist immer derselbe: Es gibt einen Chef, der sich ziemlich cool findet und daraus auch keinen Hehl macht.

Die Legitimation für Macht ist in diesem Falle: »Weil ich es so will.«

Und weil der Chef in der Regel auch multitaskingfähig ist, macht er die Regeln nicht nur, er setzt sie auch durch und urteilt über Verstöße. Oder lässt dies tun, durch – meist uniformiertes – Personal.

Nach diesem Prinzip lässt sich Syrien genauso führen wie Arcandor.

Der Nachteil eines solchen Systems besteht in der Regel darin, dass man nicht mehr entspannt Karneval feiern kann, weil alle Pappnasen mit Führungsverantwortung schon das ganze Jahr über in lustigen Kostümen durch die Gegend laufen.

Regeln von fehlbaren Menschen


Wer nach der Macht greift und einsieht, dass seine Vollkommenheit genauso limitiert ist wie die aller anderen Menschen, die ebenfalls nach der Macht greifen, der erkennt irgendwann drei Dinge:

  dass seine Mitmenschen genau das gleiche Recht auf Macht haben wie er selber,

  dass alle Menschen genauso fehlbar sind wie er selber und

  dass Gott sich das Ganze, wenn überhaupt, gerne einfach nur von oben anschaut.

Auf dieser Basis lässt sich dann mit den anderen, genauso gepolten Menschen zusammen ein Staat bilden, in dem sich alle Beteiligten ihre Regeln selber geben.

Die Legitimation für Macht ist in diesem Falle: »Weil wir es so wollen.«

Der große Nachteil dieses Systems besteht darin, dass es keinen Gott und keinen Diktator gibt, dem man die Schuld geben kann, wenn sich herausstellt, dass manche der Regeln ziemlicher Mumpitz sind. Dafür wird man in der Regel aber auch weder erschossen noch geköpft oder öffentlich verbrannt, wenn man diese Zweifel am System offen ausspricht.

Da fehlbare Menschen schnell überfordert sind, teilen sie sich die Arbeit. Die einen machen die Gesetze, die anderen setzen sie durch, und wer dann noch übrig ist und Lust hat mitzuarbeiten, darf zwei juristische Staatsexamina machen und über die Einhaltung der Regeln seitens der Bürger und seitens des Staates urteilen.

In dieser Art der Regelgebung sind die wesentlichen Elemente eines Rechtsstaates enthalten.

Während es solche Staatsformen immer gegeben hat, die ihre Macht von einem sehr coolen Gott oder einem noch geileren Menschen ableiten, ist die Staatsform »Rechtsstaat« eine vergleichbar junge Erfindung.

Die Geschichte des Rechtsstaates


Die Aufklärer


Angefangen hat das Ding mit dem Rechtsstaat mit der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Bei der Aufklärung ging es damals nicht (nur) um den korrekten Gebrauch von Geschlechtsteilen, sondern eher um den korrekten Gebrauch von Gehirnen. Im Vordergrund stand die Frage: Wie kann man eine Gesellschaft durch den Gebrauch von Vernunft verbessern?

Der erste Schritt, etwas besser zu machen, ist zunächst einmal, zu erkennen, was im herrschenden System eigentlich schlecht ist. In Gottesstaaten und Diktaturen ist allein die Äußerung einer solch banalen Erkenntnis tendenziell schon mal karrierehindernd. Daran hat sich im Grunde in Unternehmen mit führungsschwachen Abteilungsleiterfürsten bis heute nichts geändert.

Den Aufklärern war das Fortkommen der Menschheit allerdings wichtiger als der nächste Weihnachtsbonus, und deshalb machten sie aus ihrer Kritik am System keinen Hehl. Vor allem ging es ihnen auf den Keks, dass sich im 17. Jahrhundert die Freunde von »Weil Gott es so will« und »Weil ich es so will« zusammengeschlossen hatten zu dem Konzept »Weil Gott will, dass ich es so will«. Dieses Prinzip nannte sich Absolutismus.

Zum einen störte die Aufklärer, dass der Absolutismus für die an diesem Konzept unbeteiligten Untertanen absoluter Blödsinn war, zum anderen lehnten sie sich dagegen auf, weil die Herrscher mit dieser Begründung absolute Macht hatten und ihren Untertanen die Freude an Leben, Freiheit und Eigentum mächtig verhageln konnten. Es gab keine gesicherten Grundrechte, und alle Gesetze konnten willkürlich erlassen und durchgesetzt, vor Gericht aber nicht überprüft werden.

Die Aufklärer waren der Meinung, dass es suboptimal sei, wenn Grundrechte wie Leben, Freiheit und Eigentum permanent von der Tagesform eines wie auch immer legitimierten machtbesessenen Menschen abhängig sind. Sie fanden die Idee ganz putzig, von verbindlichen Gesetzen regiert zu werden und nicht von unverbindlichen Idioten.

Ohne den TÜV zu kennen, hatten die Aufklärer die Idee, verbindliche Gesetze müssten nicht nur gut gemacht, sondern auch gut angewandt und auf ihre richtige Anwendung hin kontrolliert werden. Auch dies möglichst nicht von ein und demselben Idioten. Also wie heute beim Auto: der eine baut es, der andere fährt es, und der TÜV kontrolliert es.

Begeisternde Ideen wie Aufklärung oder Absolutismus lassen sich nur schwer aus Köpfen entfernen. Köpfe hingegen lassen sich mit einer Guillotine sehr einfach entfernen – ganz gleich, welche Ideen drin sind.

Die Aufklärer waren deshalb Freunde des Teilens. Vor allem des Teilens der staatlichen Gewalt. Das Machen von Gesetzen (Legislative), das Durchführen von Gesetzen (Exekutive) und das Kontrollieren der Einhaltung von Gesetzen (Judikative) sollte nach ihrem Willen auf jeweils voneinander unabhängige Stellen aufgeteilt werden. Damit war zunächst einmal der Grundgedanke des modernen Rechtsstaates geboren: Um das Grundrecht auf Leben, Freiheit und Eigentum zu schützen, braucht der Staat Gewaltenteilung und damit die Möglichkeit der rechtlichen...