Stark gegen Ängste - Strategien zur Bekämpfung und die Psychologie dahinter - Wirksame Strategien gegen Ängste, Phobien und Panikattacken

Stark gegen Ängste - Strategien zur Bekämpfung und die Psychologie dahinter - Wirksame Strategien gegen Ängste, Phobien und Panikattacken

von: Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Hillert

Stiftung Warentest, 2024

ISBN: 9783747107812 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 15,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Stark gegen Ängste - Strategien zur Bekämpfung und die Psychologie dahinter - Wirksame Strategien gegen Ängste, Phobien und Panikattacken


 

Das wichtigste aller Gefühle


Schwierige Gefühle sind zunächst nichts, das man sich wünscht. Aber: Fragen Sie sich, ob Sie wirklich auf die Angst verzichten wollen.

Klingt „Keine Angst vor der Angst“ für Sie zunächst einmal unsinnig oder paradox? Vorschläge wie „sich die Angst zum Freund machen“ wären dann regelrecht eine Zumutung. Tatsächlich jedoch steckt in diesen Aussagen eine existenzielle Wahrheit, die mit der evolutionären Entstehung und Funktion von Angst zu tun hat. Natürlich: Angst ist für jeden Menschen zunächst ein unangenehmes Gefühl. Existenziell unangenehm sogar! Ein Gefühl, das die Kraft hat, alle anderen Gefühle so weit in den Hintergrund zu drängen, dass außer ihm scheinbar nichts mehr da ist. Eben deshalb gilt Angst zu Recht als mächtigstes aller Gefühle. Da gibt es Angst vor einer realen oder auch nur vermuteten Gefahr. Angst, die einschießt wie ein Blitz und uns zu vernichten droht. Aber es gibt auch unterschwellige, stets präsente Angstgefühle, ohne dass einem bewusst sein mag, was eigentlich dahintersteckt.

Wer Angst hat, kommt oft gar nicht mehr zur Ruhe und versucht alles, um die Angst irgendwie loszuwerden oder zu überwinden. Soweit diese von einer konkreten Bedrohung ausgeht, ist das – zumindest theoretisch – der sinnvolle uralte Instinkt von Kampf oder Flucht. Wenn die Bedrohung aber als solche komplexer oder weniger greifbar ist und es somit keine Möglichkeit gibt, diese an den Wurzeln zu packen, fühlt man sich der Angst ausgeliefert und hilflos. Halten solche Zustände an, resultieren daraus Zustände eigener Qualität, die bedrängend und Lebensqualität vernichtend sind.

Aber selbst, wenn wiederkehrende Ängste vorübergehend abgeklungen sind, kann die Angst, dass diese erneut und vielleicht noch stärker auftreten könnten, das Leben zur Qual machen. Es entsteht also eine Angst vor der Angst. Angst und, in etwas geringerer Dosierung, Ängstlichkeit, können somit Blitze sein, die uns im Leben immer wieder aus der Bahn werfen. Sie können sich aber auch als bedrückend-dunkle Wolken über unsere ganze Existenz legen. Und diese Angst also, die Lebensqualität aufsaugt wie ein schwarzes Loch die Materie, die sollen Sie sich nun zum Freund machen?

Versuchen wir diese Frage mit einem Gedankenexperiment zu beantworten. Das funktioniert wie folgt: Es wurde ein Preis ausgeschrieben. Ein hoch dotierter, ehrenvoller Preis für das Gefühl, das für die Menschen am wichtigsten ist! Und Sie sitzen in der Jury. Vor dieser Jury werden nun, eines nach dem anderen, unsere Gefühle antreten, wobei sich selbst die Wissenschaft nicht ganz einig ist, wie viele Kandidaten es eigentlich sein müssten. Als Grundgefühle oder Basisemotionen gelten (zumindest für einige Wissenschaftler): Freude, Wut, Ekel, Verachtung, Traurigkeit, Überraschung und Angst. Das wären demnach die Emotionen, die bei allen Menschen und in allen Kulturen auf dieser Erde gleichermaßen vorkommen und gewissermaßen in unseren Erbanlagen verankert sind.

GEFÜHLE ERKENNEN: Der amerikanische Psychologe Paul Ekman geht davon aus, dass man Emotionen objektiv am Gesichtsausdruck ablesen kann. Zur Frage, wie sich Emotionen nonverbal äußern, also etwa durch Mimik, Gesten und Körperhaltungen, hat er umfangreiche Studien durchgeführt. Neuere Studien konzentrieren sich auf die mit emotionalem Erleben einhergehenden Erregungsmuster im Gehirn. Hiervon ausgehend ist die Zahl der Grundgefühle geringer.

Dass Angst ein Grundgefühl ist, kann als gesichert gelten. Dass sich mit modernen Methoden der Hirnforschung nur Ekel und Angst mit umschriebenen Funktionsmustern des Gehirns in Verbindung bringen lassen (siehe Seite 27), spricht zumindest dafür, dass diese beiden Kandidaten unbedingt auf der Teilnehmerliste stehen sollten.

Wie in einem Wettbewerb üblich, dürfen nun die Kandidaten vortragen, warum sie Anspruch auf den Preis „Das wichtigste Gefühl für die Menschen“ erheben. Wie würden sich die Kandidaten präsentieren? Die Freude beharrt sicher darauf, das wichtigste Gefühl zu sein, weil sie so angenehm ist und schließlich das einzige, wofür es sich zu leben lohnt. Sie betont ihre Schwesternschaft zur Liebe und stilisiert sich als Vorgeschmack aufs Paradies. Die Wut hingegen betont die ihr innewohnende Dynamik und ihre Wichtigkeit, wenn der Mensch sich wehren muss. Erst die Wut, so ist sie sicher, macht den Menschen zum handlungsfähigen Individuum. Der Ekel hingegen schützt nicht zuletzt davor, verdorbene Speisen zu sich zu nehmen oder schädlichen Einflüssen zu nahe zu kommen. Darin ist er der Verachtung, mit der er gerne gemeinsam auftritt, eng verwandt. Die Traurigkeit hält sich selbst für das wichtigste Gefühl, weil sie so tiefgründig ist und die Freude erst richtig spürbar macht, während die Überraschung für sich beansprucht, Abwechslung ins Leben zu bringen und deshalb am wichtigsten zu sein.

Der Sieger ist die Angst!

Offenkundig sind alle Grundgefühle irgendwie wichtig, alle haben eine wichtige Funktion in unserem Leben. Im Wettbewerb um das wichtigste Gefühl würde sich die Angst in etwa wie folgt präsentieren: „Um es kurz zu machen: Ohne mich gäbe es euch überhaupt nicht! Gäbe es keine Angst, wäre die Menschheit ausgestorben, bevor es sie überhaupt gab. Vom Säbelzahntiger gefressen, vom Feuer verschlungen, in Abgründe gestürzt. Die Menschen wären so naiv geblieben, wie es Kleinkinder sind. Kleinkinder, die noch nicht wissen, wie gefährlich die Welt sein kann. Sicher, die Freude ist ein angenehmeres Gefühl als ich es bin. Aber darum geht es hier nicht! Es geht um die Frage, was das wichtigste Gefühl ist. Ohne mich wüsstet Ihr gar nicht, was Freude oder Liebe ist! Wer mich nicht hat, der lebt dafür nämlich nicht lange genug. Und dass ihr euch von mir des Öfteren gestört fühlt? Pardon, aber das ist nicht mein Problem. Indem ich euch vor Gefahren warne, gebe ich euch die Sicherheit, ohne die ein intelligentes Leben nicht möglich ist. Dass ihr mit meinen Warnungen nicht immer angemessen umgeht, ist nicht meine Schuld. Da könnte man sicher einiges entspannter hinbekommen, wenn man sich mit mir intensiver beschäftigen würde …“ So weit die Angst.

Welchem Gefühl würden Sie den ersten Preis geben? Das entscheidende Kriterium: Es muss das für den Menschen wichtigste Gefühl sein! Die diplomatische Entscheidung liefe darauf hinaus, jedes Gefühl zum Sieger zu erklären, nach dem Motto: In den Situationen, in denen sie idealerweise auftreten sollten, ist jedes Gefühl das wichtigste. Gleichwohl, an der Erkenntnis, dass Angst für uns lebenswichtig war und ist, führt kein Weg vorbei. So unangenehm Angst in dem Moment, wo man sie intensiv spürt, auch sein mag – bereits die Tatsache, dass es uns ohne die Angst nicht gäbe, sowohl als Spezies als auch als Person, und dass wir ohne sie in unserer Welt, die sicher nicht das Paradies ist, kaum überlebensfähig wären, ist ein starkes Argument dafür, der Angst neben der Bezeichnung „Stärkstes aller Gefühle“ auch den Ehrentitel „Wichtigstes aller Gefühle“ zu verleihen. Wir müssen uns – so gesehen – bei unserer Angst bedanken. Für nichts weniger als für unser Leben. Und zwar mit einem Gefühl der Anerkennung für das, was sie für uns getan hat und weiter tun wird. Falls Sie – aus absehbar guten Gründen – beispielsweise der Freude den Titel verleihen möchten, wird die Angst sicher Verständnis dafür haben. Schließlich ist sie, die Angst, vor allem dafür da, uns möglichst oft und lange Gelegenheiten zu geben, Freude erleben zu können.

AM STEUER: Emotionen sind auf Metaebene erlebte Gestimmtheiten und Handlungsoptionen, die durch situative und in der Person selbst angelegte Aspekte getriggert werden, um dann Wahrnehmung und Reaktionen in ihrer spezifischen Qualität zu lenken. Auf diese Weise reduzieren Emotionen die Komplexität des in einer Situation Wahrnehmbaren. Sie konzentrieren Wahrnehmung und Handlung auf jeweils entscheidende Aspekte.

Angst ist Ihr Freund und Helfer

So oder so, auch wenn Sie der Angst nicht den Titel „Wichtigstes aller Gefühle“ verliehen haben sollten, so hat sie doch zumindest alle Qualitäten, die ein guter Freund hat. Sicher, wenn die Angst überdosiert ist, wenn sie nicht vor wirklichen Gefahren und Risiken warnt, sondern uns quält und damit zum eigentlichen Problem wird, weil tatsächlich bedrohliche Realitäten gar nicht vorhanden sind: Selbst dann unterscheidet sich die Angst nicht grundsätzlich von einem guten Freund. Auch die allerbesten Freunde, wenn sie zu lange bei uns wohnen und unseren Tagesablauf stören, können einem recht schnell auf die Nerven gehen. Und wenn wir schon wissen oder es zumindest ahnen, dass hinter der Angst keine realen Gefahren drohen, warum bitten wir den Freund dann...